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Arbeiten in Shanghai
S u. F. Demmer

Copyright for all contents by Sandra and Frieder Demmer. Jede Art der weiteren Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.

Der Umzug nach Shanghai als kritisches Lebensereignis

III. Bedürfnisse - Süchte und Gefahren für die Partnerschaft

Als ich begann,  diesen dritten Artikel zu schreiben, war ich kurz an einen Punkt, an dem ich dachte: “Schon wieder über Probleme schreiben – dabei geht es mir doch wirklich gut hier!” Aber dann dachte ich auch wieder: “Jetzt nicht kneifen, es fehlen noch wichtige, wenn nicht die wichtigsten Punkte und über Probleme zu sprechen oder zu schreiben bedeutet ja noch lange nicht, dass sie jeder haben muss.” In diesem Sinne versuche noch in diesen und im nächsten Monat solche Punkte zusammen zu fassen, durch die Ihr Wohlbefinden in Shanghai nachhaltig in Frage gestellt werden kann.

Für die, für die dies der erste Postillion ist – und soweit ich das mitbekommen habe sind doch einige wieder zugezogen: Mein Name ist Friedemann Demmer, ich bin Diplom-Pädagoge mit Schwerpunkt Diagnostik und Beratung, in China allerdings hauptberuflich mitgereister Ehemann. Auf den Coffee-Mornings bin ich als in aller Regel einziger Mann recht leicht zu identifizieren... :-). Ausgehend von einem kleinen Vortrag im Januar über mögliche Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung in Shanghai fanden sich schon in den letzten zwei Postillionen Artikel wie dieser.

So hoffe ich, dass auch dieser dritte Abschnitt wieder seine LeserInnen findet und diesen auch Interessantes bieten kann. Auf die diesbezüglichen Mails (frdemmer@aol.com) und Gespräche mit Anregungen und Fragen freue ich mich schon wieder sehr.

Mit dem Themenbereich: “Bedürfnisse und Motivation” begeben wir uns nach der “theoretischen Einkreisung” in den Kern des Themas “Umzug nach Shanghai als kritisches Lebensereignis” und werden dabei in dieser Ausgabe mit Sucht und partnerschaftlichen Problemen auch zu den vielleicht gravierendsten Problematiken kommen, bevor es dann im Mai in einer Art “positiven Wendung” stärker um die “Motivation” geht, um Ziele und Selbstorganisation.

Kritische Lebensereignisse tragen – wie im Vortrag erwähnt - ein nicht zu unterschätzendes Suchtrisiko in sich. Süchte entstehen häufig im Zusammenhang mit unbefriedigten Bedürfnissen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Wechselspiel der Bedürfnisse nach Sicherheit und Veränderung.

In Shanghai kann gerade in der Anfangszeit für die “begleitende Seite” eine Situation entsstehen, in der die eigene Wohnung zwar als einzig halbwegs sicherer, vertrauter Raum erscheint, der ständige Aufenthalt in der Wohnung (mit Ayi, Fahrer und Gärtner und ohne Partner) aber gleichzeitig absolut nervtötend ist. Für den berufstätigen Partner kann dagegen die Kluft zwischen Gestaltungswünschen und Gestaltungsmöglichkeiten im neuen Tätigkeitsfeld zur nervenaufreibenden Falle werden.

Vier Süchte sind hier die klassischen “Lösungen”: Alkohol (Nr. 1), Einkaufen, Essen und vielleicht überraschend, aber in vielen Fällen leider auch in dieser Reihe ein zu ordnen: “Freundinnen”. Alle werde ich kurz unter dem “Sicherheits-Veränderungs”-Aspekt anschneiden, was kühl-distanziert erscheinen mag und das Thema – das sei nachdrücklich betont - beileibe nicht erschöpft. Aber die Kernproblematiken der angesprochenen Süchte werden so am deutlichsten.

Beginnen wir mit Alkohol. Alkohol (da gehört Sekt übrigens auch dazu...;-)) bringt Sicherheit, indem er sehr zuverlässig in den Rausch führt – und (selbst) der (leichte) Rausch wiederum eine scheinbare Veränderung der Umwelt bringt. Man denkt, es täte sich was. Weil das Erlebnismuster der Droge Alkohol so gut passt und Alkohol ja auch in China reichlich und leicht zu bekommen ist, sind die Betroffenen dringlichst auf passende, d.h. deutliche und kritische Rückmeldungen von Freunden und Familie angewiesen: “Du, pass auf, das wird allmählich zu viel.”

Erst durch solche Konfrontationen durch Personen die einem wichtig sind, wird in der Regel die Tür zum Entschluss geöffnet, alleine oder mit professioneller Beratung der Gefahr der Sucht entgegen zu treten.

“Hit the Mall Honey” - Einkaufen ist als Sucht in der Regel weniger fatal als Alkohol, zumal unter den in Shanghai bestehenden Einkommensbedingungen – aber es ist, als würde jemand ständig vor sich hin murmeln: “Und siehst Du, es lohnt sich doch hier zu sein.”, ein frühes und dabei noch relativ harmloses Signal, dass jemand letztlich ungluecklich ist. Beratungsbedarf im engeren Sinne entsteht hier erst, wenn tatsächlich soziale Kontakte beeinträchtigt werden (es gibt keine anderen Gespächsthemen mehr), wenn rein alltagsorganisatorische Probleme auftauchen (wohin mit dem Zeug) oder irgendwann der bestehende finanzielle Rahmen doch durchbrochen wird. Davor ist aber vielleicht schon mal Gelegenheit für sich selbst inne zu halten und zu fragen: “Was fehlt mir eigentlich wirklich?”

Unmittelbar und ausgesprochen ernst zu nehmen sind dagegen Ernährungs- und Essstörungen. Hier, das sei betont, besteht, wenn Ihnen bei Bekannten, Freunden, Kindern Ernährungsunregelmäßigkeiten bis hin zur Essenverweigerung oder auch “Fresssucht” auffallen, umgehender Handlungsbedarf.

Essstörungen sind hochgefährlich – gehören tatsächlich zu den absolut problematischsten Suchterscheinungen - und die Behandlung kann ein sehr langwieriger und zäher Prozess sein, bzw. ist es leider in aller Regel! Scheinbare Teilerfolge sind häufig weit weg von einer wirklichen Problemlösung. Nochmals: hier besteht wirklich Handlungsbedarf!

Kommen wir zum heikelsten Thema – insbesondere, wenn ich als Mann es hier aufnehme. Andererseits wäre es ignorant, über Auslandsprobleme zu sprechen und ausgerechnet darüber nicht.

Zunächst einmal stellt der Schritt ins Ausland für sich genommen schon eine Prüfung für jede Partnerschaft dar – ich habe bisher kein Paar getroffen, das nicht berichtete, dass irgendwann während des Auslandaufenthaltes ungewohnt hohe, wenn nicht grenzwertige Spannungen aufkamen. Meine Frau und ich bilden hier keine Ausnahme.

Die wohl unerfreulichste der denkbaren Spannungssituationen ist, wenn dritte Personen in Spiel kommen – in der Regel Freundinnen, aber die Möglichkeit von Hausfreunden sei hier ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Dazu vorweg:  “Untreue” im rein körperlichen Sinne habe ich in meiner Arbeit in Deutschland von beiden Seiten und in allen nur denkbaren Arten von Beziehungen erlebt, es gibt keinen Patentschutz, aber - und das ist wichtig - es ist auch nicht das automatische Ende von Partnerschaft.

Unter den hier schwerpunktmäßig betrachteten Rahmenbedingungen von Sucht, geht es gerade bei Männern um eine direkte Verknüpfung der beiden Hauptaspekte:

Wenn ich mit Sicherheit Veränderung herbei führen kann, dann nennt sich das schlicht: MACHT. Und das ist etwas, was im Umfeld von Führungspersonen in aller Regel eine große Rolle spielt: “Ich kriege, was ich will!” Filme wie “Citizen Kane” oder “Once Upon a Time In America” verdichten diese Problematik – auch und gerade im Hinblick auf Beziehung - perfekt.

Die “Freundin”/Der “Freund” ist in diesem Machtspiel in der Regel vollkommen austauschbar, bietet in aller Regel keinerlei ernstzunehmende Alternative zur bestehenden Partnerschaft. Er/Sie ist eine aufregende Ergänzung und u.a. deswegen so attraktiv, weil sie/er sich eben nicht mit all dem lästigen, uninteressanten Alltagskram (Beruf oder Familie) beschäftigen muss, den derweil freundlicher Weise der/die Betrogene abwickelt. Als betroffener Partner sollte man sich hier unbedingt nicht zu sehr in die Defensive drängen lassen. Eifersucht hilft nichts(!!!) – aber wahren Sie ausdrücklich Ihre Interessen – das tut der andere ja offensichtlich auch.

Menschen sind fehlbar und in diesem Sinne ist der einmalige Seitensprung (nicht nur in China) eine ziemlich menschliche Verfehlung. In der Regel führt er dementsprechend zu heftigen, allerdings meistens letztlich nur zeitlich begrenzten Konflikten. Wenn dagegen eine andauernde Krise erwächst (z.B. auch durch, und dann passt der Begriff auch besser, andauernde Untreue), ist die Untreue in der Regel nur Aufhänger, ein Teil, ein Phänomen, nicht aber die eigentliche Ursache.

Bei Männern haben sehr, wirklich sehr viele Probleme rund um Körperlichkeit und Sexualität ihren Auslöser in “Machtfragen” im weitesten Sinne. D.h. u.a., dass der Auslöser sehr häufig NICHT in der Partnerschaft und schon gar nicht bei der Partnerin liegt!!

Bei Frauen ist eine Verknüpfung mit tatsächlicher Unzufriedenheit in der Partnerschaft dagegen in der Regel häufiger – wenn auch in wesentlich differenzierterer Form, als es männliche Klischees gerne sehen. Das Thema partnerschaftliche “Befriedigung” spielt sich definitiv nicht vorrangig im Bett ab.

Partnerschaftliche Probleme sind vermutlich der “Krisenfaktor”, bei dem externe Beratung am meisten helfen kann. Die Außenperspektive der beratenden Person kann hier den Abstand und die Ruhe schaffen, die in der direkten Auseinandersetzung häufig nicht mehr angemessen zu erreichen sind. Auf dieser Basis kann nach den eigentlich kritischen Punkten gesucht und können davon ausgehend wiederum angemessene Entscheidungen getroffen werden. Und darum geht es bei Problemen in der Partnerschaft letztlich immer: Entscheidungen treffen.

Wichtig scheint mir gerade bei den genannten Themen noch,  dass es vor Ort mit Frau Dr. Kulich, der Vertrauensärztin des Konsulates, auch eine beratende Frau gibt.

Abschließend noch zum Mai-Artikel: Da wird es um Motivation gehen, um die Frage was man (erreichen)  will und wie man dieses angemessen umsetzen kann. Bis dahin wünsche ich allen eine gute Zeit, insbesondere – so die Gelegenheit besteht - schöne Osterferien.

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching