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Arbeiten in Shanghai
S u. F. Demmer

Copyright for all contents by Sandra and Frieder Demmer. Jede Art der weiteren Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.

Der Umzug nach Shanghai als kritisches Lebensereignis

V. Auf zu neuen Ufern

Dies ist (wer sagte da: “endlich?”) der letzte Artikel der kleinen Reihe zum Thema: “Der Umzug nach Shanghai – ein kritischs Lebensereignis”. Ich persönlich freue mich darauf, als “Kultur-Quoten-Mann” ab jetzt (auch) über anderes zu schreiben – hoffe aber die ein oder andere Anregung gegeben zu haben und stehe natürlich weiterhin gerne für Fragen zu psychologisch-pädagogischen Themenstellungen zur Verfügung (s.u.).

Aber - noch ein letztes Mal - zum Thema: Der erste Artikel hatte den Grundansatz “kritischer Lebensereignisse” erklärt und versucht auf die Situation eines Auslandsumzuges zu übertragen. Der zweite Artikel beschäftigte sich mit der Frage, wie die Eigenarten menschlicher Wahrnehmung diesen Schritt positiv, wie auch negativ beeinflussen können. Im Dritten Artikel wurden einige spezielle Probleme kurz angesprochen. Der vierte Artikel drehte sich um das Thema Bedürfnisse. Nun soll es darum gehen, wie Sie ganz praktisch mögliche Probleme minimieren können – völlig vermeiden lassen sich Probleme bei einem Vorgang dieser Komplexität und Tragwtise in der Regel nicht. Gerade deswegen steht ein Punkt eigentlich über allen:

Fürsorge: Nehmen Sie sich Zeit - für sich und für Ihre Nächsten:

Dies ist keine Provokation gegenüber den berufstätigen Partnern (oder zumindest nicht primär ;-)).
Ich bin mir des heutzutage bestehenden Drucks auf Führungskräfte sehr bewusst. Gerade deswegen möchte ich jedem, der “in verantwortlicher/leitender Position” mit Familie nach Shanghai kommt, umso nachdrücklicher nahe legen, frühzeitig Strukturen zu schaffen, die nach allen Seiten deutlich machen, dass die Verantwortlichkeit gegenüber der Firma auf der Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Gesundheit und der Familie aufbaut - und nicht umgekehrt. Da kein Unternehmen Interesse an zehrenden Scheidungen bzw. mentalen oder gesundheitlichen Zusammenbrüchen haben kann (was beides leider vorkommt), ist diese Prioritätensetzung in aller Regel auch nach oben hin vermittelbar. Das heißt nicht, dass es nicht Zeiten und Gelegenheiten geben kann, bei denen die Familie zurückstecken muss und es ist auch sicher so, dass Sie als Expat in der Regel weniger Zeit zur Verfügung haben als eine Durchschnittskraft – aber es darf eben nicht immer und nicht immer nur die Familie sein, die zurücksteht!
Diese Prioritätensetzung gilt im übrigen doppelt und für beide Partner Ihren Kindern gegenüber. Ayi, Ganztagsschule, Sportclub, Klamotten, CD’s und Spielzeug sind alle nett und hilfreich, davon abgesehen brauchen Ihre Kinder Sie aber im Ausland mehr denn irgendwo sonst ganz persönlich, und dabei - auch wenn es nicht immer so scheint - insbesondere Jugendliche!

Also planen sie hierfür bewusst Zeit (und Energie) ein.

2. Offenheit: Zunächst wird Shanghai Sie formen, nicht Sie Shanghai.

Shanghai ist eine chinesische Millionenmetropole mit Gegensätzen, inneren Spannungen und auch Dynamiken, die jeden, der nicht ein gewisses Maß an Offenheit und Anpassungsbereitschaft mitbringt, schnellstens und mit Nachdruck an seine Grenzen bringen kann – das gilt übrigens innerhalb des Geschäfts wie für die Haushaltsführung oder Freizeitgestaltung gleichermaßen.

Wer offen an die Sache heran geht, dem wiederum bietet Shanghai eine Bandbreite an Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, wie aktuell wohl nur wenig Plätze auf dieser Welt. Betont sei in diesem Zusammenhang wieder, dass “offen” nicht heißt, dass man alles von vorne herein toll finden muss (ich sage nur: “chuaaarg – pfk”...). Es geht nur darum, zu versuchen sich vorstellen, dass etwas toll, zumindest aber sinnvoll sein könnte, obwohl es auf den ersten Blick fremd oder gar widerlich scheinen mag. Um beim Beispiel zu bleiben: Wir schniefen, räuspern und spucken nicht, wir putzen uns statt dessen die Nase. Mag sein, dass unser Naseputzen sozial vorteilhafter ist, aber tatsächlich ist es ungesünder als die chinesische Variante, da wir wieder und wieder alles mit Überdruck in die eigenen Nebenhöhlen pressen...

In diesem Sinne: Die chinesische Gesellschaft ist durch die Größe des Landes um ein vielfaches komplexer als die unsrige. 5000 Jahre Kulturgeschichte und die heutzutage schier endlose Spanne an parallel existierenden Lebensentwürfen machen nicht jeden Chinesen per se zu einem Konfuzius – das in diesem Land mehr oder minder offensichtlich existierende Wissen über Bedingungen und Formen menschlichen Lebens sollte man aber nie, wirklich nie unterschätzen und daher versuchen, davon zu profitieren – auch wenn der Zugang manchmal schwer fällt.

3. Verständigung: Vielleicht (noch...;-)) nicht die Welt, aber in jedem Fall China, spricht Chinesisch

Weil China so reich ist an Eindrücken und gleichzeitig auch so fremd, sollten Sie versuchen, so direkt wie möglich Zugang zu Chinesen zu finden und dazu braucht es vor allem eines: die Sprache. Was wir aber vom Gastarbeiter in Deutschland erwarten, sollten wir uns in China auch zu Herzen nehmen: Auch wenn wir uns hier etwas eleganter “Expats” nennen dürfen, die Sprache ist der eigentliche Schlüssel zum Gastgeberland. Sie zu lernen eine kleine aber wichtige Respektbezeugung

Es gibt Menschen die jahrelange Shanghai-Aufenthalte ohne den Aufbau nennenswerter Sprachkenntnisse hinter sich bringen. Das geht – aber es gibt nur wenige, die eine solche Sprachabstinenz letztlich nicht irgendwann eindeutig bereuen. Daher: Lernen Sie so schnell und so viel Chinesisch wie Ihnen nur irgendwie möglich ist.

Häufig ist es leider weniger möglich, als man sich wünschen würde: Chinesisch zu lernen bleibt auch für Sprachtalente eine echte Herausforderung, bei der man wirklich Biss braucht. Als zu lernenden Dialekt würde ich eindeutig die Amtssprache “Mandarin” (chin.: Putong-Hua) empfehlen.

4. Aktivität: So nett der Expat-Package-Rundumservice sein kann – passen Sie auf, dass es in Ihrem Leben genügend Felder gibt, die Sie selbst gestalten.

Wie gesagt, Ayi, Gärtner, Fahrer & Co. sind nett, aber auch Angestellte sind Menschen die Eigenheiten haben können. Angestellte schaffen Freiheit, schränken Sie in Ihrem Alltag durch ihre Anwesenheit und eine stets verbleibende Restunsicherheit, ob wirklich das passiert, was man eigentlich wollte, aber auch gleichzeitig in nicht zu unterschätzender Art und Weise ein.

Manche Menschen – gerade Frauen - wären in Shanghai vermutlich glücklicher und ausgeglichener, wenn sie einen Deut weniger um- und versorgt wären – auch weil man sich in so einem “goldenen Käfig” letztlich schnell ent-sorgt fühlt... (mal ganz davon abgesehen, dass sich die Haltbarkeit manchen Küchengerätes oder Wäschestückes, die nicht selten Zielpunkte unausgetragener Konflikte mit der Ayi werden, vermutlich wesentlich verlängern würde).

Es geht hier nicht darum, Haushaltshilfen generell abzuschaffen. Für diese geht es in der Regel um gute Jobs, für uns um erhebliche Alltagserleichterungen. Es geht aber darum, bei diesem Thema von dem “all-inclusive-weil-sie-nunmal-da-ist”-Ansatz weg zu kommen, sich bewusster mit Grenzen und Möglichkeiten dieser Seite des Lebens in Shanghai auseinander zu setzen.

Eine wichtige Grenze dabei ist, dass eine chinesische Ayi – so sie nicht schon längere “Westler”-Erfahrung hat – deutlich andere Vorstellungen von Haushaltsführung hat und zudem die wenigsten westlichen Haushaltsgeräte ausreichend kennt. An diesem Punkt wird die Wichtigkeit des eigenen Sprachtrainings noch einmal besonders deutlich. So verständlich der Wunsch nach englischsprachigem Personal ist, er hat auch eine klare Kehrseite: Chinas Hausangestellte sind so günstig, weil sie gering qualifiziert sind und wenig andere Perspektiven haben. Eine Ayi, die gut Englisch kann, wird verständlicher Weise bald nach Höherem streben. Kurz: Wer so etwas will, muss mit einem ganz anderen Budget planen.

Wenn man sich aber eben ein wenig selber bewegt, kann auch die “rein chinesische Ayi” zur großen Bereicherung werden:

Man kann mit der Ayi Kochen lernen, von (so es mehrere sind) allen Angestellten viel über das Leben in China erfahren und dabei – wenn ein Grundwortschatz mal da ist - deutlich günstiger und alltagsnäher als in Schulen sein Chinesisch trainieren. Die manchmal beängstigende Distanzlosigkeit der Chinesen Kindern gegenüber wandelt sich in der engeren Beziehung häufig zu wirklich fürsorglicher Herzlichkeit.

Das oben beschriebene geht leider nicht mit allen chinesischen Angestellten. Es gibt – Qualifikation hin oder her – schlicht Muffel. Dann sollten Sie schnellstens über Ersatz nachdenken, denn man hat mit seinen Hausangestellten viel zu engen Kontakt, als dass man sich hier dauerhaft Konflikte leisten könnte. Das zehrt richtig – dann lieber keine!

Das Thema dieses Absatzes war Aktivität, und Aktivität geht noch deutlich weiter, als seine Hausangestellten zu organisieren. Es bedeutet öffentliche Verkehrsmittel auszuprobieren, um unabhängiger zu werden. Es bedeutet selbst auf den Gemüse-Märkten einzukaufen. Es bedeutet über “That’s”, “Scene” und Expat-Magazine wie den (sehr empfehlenswerten) SEA-“Courrier” und eben auch den “Postillion” nach Interessensgemeinschaften und Freizeitmöglichkeiten zu suchen usf.. Leben Sie, lassen Sie sich nicht leben und lassen Sie sich vor allem nicht durch Chaos und Ausmaß dieser Stadt einschüchtern. Shanghai ist gewaltig, aber für Ausländer daneben eine der sichersten Großstädte der Welt, was enorme zusätzliche Erlebnisräume schafft, auf die Sie jedoch selbst zugehen müssen. Der Deutschsprachige Club hofft dabei einfach eine Hilfe sein zu können und sei es nur als Forum des gegenseitigen Austausches (s.u.: Wo ist Wo).

In diesem Sinne stehe ich auch weiterhin unter frdemmer@aol.com oder persönlich für pädagogisch psychologische Fragen oder Beratungen zur Verfügung. Allen eine gute Zeit. Frieder Demmer

 

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching