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S u. F. Demmer
Shanghai Tagebuch
November2003

Nimen hao liebe Freunde,

 draußen plätschert es vor sich hin – kein goldener Herbst heute, sondern triste Regenstimmung. Gestern saßen wir zumindest noch bei einer Geburtstagsparty bei leicht wolkenverschleiertem Vollmond und rund 25 Grad im Garten – heute wie gesagt davon nicht mehr viel zu sehen. Der Wetterbericht droht gar mit Nächten bis zu 10 Grad... . 

Passend zum Wetter schlängeln wir uns gerade mehr schlecht als recht durch diverse Herbstwehwehchen: Mal kratzt der Hals, mal schmerzt der Kopf, mal läuft die Nase – bis jetzt aber noch ohne ernsthafte Ausfälle – dreimal auf Holz geklopft, denn es liegen einige flach. Also nicht gerade Superstimmung ;-) – aber es geht uns auch gar nicht wirklich schlecht! 

So klang das, als wir vor einer Woche anfingen, diesen Rundbrief vorzubereiten – das war wirklich kein tolles Wochenende und die kühlen Nächte samt weiterem Regen kamen tatsächlich: Pfui ba... .  

Heute sind wir da viel, viel zufriedener: strahlender Sonnenschein und über 25 Grad, ein ruhiger, netter und gemütlicher Grillabend mit unseren Paddelfreunden und eben das heutige Training im Strahlewetter: so geht es uns dann wieder richtig gut ;-) 

Schon wieder sind es fast drei Monate seit unserem letzen Rundbrief:

 Eigentlich wollten wir zuerst über unseren Aufenthalt in Deutschland schreiben, jetzt hat hier ein Ereignis natürlich alles in den Schatten gestellt: Der erste Chinese im Weltall.

Wir sind beide keine Fans von Raumfahrtprogrammen, geht es doch immer um ungesund viel Geld und leider meistens um militärische Nutzungen – und da darf man natürlich schon die Frage stellen, ob ein bemanntes Raumfahrtprogramm ausgerechnet für ein Land, dass offiziell noch unter „Entwicklungsland“ firmiert (und dieses zu Recht!) so ne klasse Idee ist.

Tatsache ist, dass der psychologische Effekt schon gewaltig ist. In vielen Bussen Shanghais gibt es Fernsehschirme, in denen man rund um die Uhr tatsächlich ein täglich neu, speziell für den Nahverkehr zusammengestelltes Programm sehen kann. Dieser Service wird  in der Regel mit mittlerer Aufmerksamkeit gewürdigt. Als jedoch am Donnerstag die Nachrichten über den erfolgreichen Abschluss der Raum-Mission kamen, da schauten in dem Bus in dem Frieder war, wirklich ALLE auf die Bildschirme.

Vor allen Dingen eines ist den Chinesen sehr wichtig: Das haben bisher nur die beiden Supermächte geschafft,und es ist dabei relativ glaubhaft, dass das chinesische Programm auch nicht nur eine Neuauflage russischer Programme ist, sondern wirklich maßgeblich eine Eigenentwicklung. Die Botschaft ist: Here we go!

Für die, die es noch interessiert: Der neue Held des Fortschritt, der erste Taikonaut, heißt Yang Liwei.

 Aber wie gesagt – uns wäre das eigentlich nicht so wichtig gewesen... für uns war wesentlich bedeutender der Aufenthalt in Deutschland im Juli und August, mit vielen lieben Besuchen, zwei schönen Hochzeiten, einer Taufe, der Kanu-Slalom-Weltmeisterschaft in Augsburg, Baden auf Helgoland, Wandern im Kaisergebirge bei Kufstein, Flamencomedy in Berlin, Jahrmarkt in Kreuznach und last not least zur Krönung des Ganzen eine Bandscheibenvorwölbung, die Frieder leicht konsterniert in wenig elegantem „Entengang“ nach Shanghai zurück kehren ließ – sonst wäre ja alles auch zu schön gewesen.

 

Zu schön, weil zwar einiges in Deutschland sehr anstrengend war – hatten wir doch in fünf Wochen wie angedeutet die gesamte Republik, von Helgoland bis Kufstein (AU) und von Berlin bis Freiburg durchreist – aber es dabei auch so viele gute Eindrücke gegeben hatte, dass wir mit bestens aufgeladenen Batterien gen Shanghai gesteuert wären – wenn da eben nicht jene verhängnisvolle Wendung Frieders mit Sandras übergewichtigem Koffer gewesen wäre, die insbesondere alle gefassten Vorsätze zu größerer körperlicher Aktivität seinerseits (Frieders – nicht des Koffers) bis eben zum heutigen Sonntag, da der Rücken sich wieder halbwegs stabilisiert hat,  „postponed“ hat.

 

Hier hatte uns der Alltag schnell wieder eingeholt. Die Deutsche Schule (www.ds-shanghai.org.cn) startete ins erste Jahr der Ära Jürgen Schumann, der die Nachfolge von Dieter Stanik als Schulleiter angetreten hat. Diesen Start – mit insgesamt 50 neuen Schülern, was 25% Zuwachs bedeutet - kann man mittlerweile als geglückt bezeichnen, und ein erster Unterrichtsbesuch des neuen Schulleiters ging in sehr angenehmer Atmosphäre mit noch angenehmerem Feedback über die Bühne – was schön ist, weil Sandra hier nach wie vor wirklich richtig viel arbeiten muss, und da tut so etwas einfach gut. Schön ist auch, dass sie ihre Klasse aus den ersten beiden Schuljahren weiterführen kann, mittlerweile also in der dritten Jahrgangsstufe. Das Weiterführen ist hier allerdings deutlich anders als in Deutschland. Nur fünf Kinder aus der „ersten Formation“ sind noch übrig, und von den derzeit 21 Schülern sind allein dieses Schuljahr sechs neu dazugekommen.

 Wahrhaft zukunftsweisend war die endgültige Entscheidung über die Gestaltung des Shanghaier Schulneubaus. Der siegreiche Entwurf eines noch relativ jungen deutschen Büros war der Favorit aller Parteien, und die seither stattgefundenen Gespräche der Architekten mit allen am Schulleben Beteiligten haben in sehr angenehmer Weise unterstrichen, dass der in der Präsentation vorgetragene Kerngedanke funktionaler Lebensqualität nicht nur ein Marketingkonzept war. Und es ist ein Spiegel der Grundstimmung hier, mit wie viel Engagement sich wirklich alle in diese Entwurfsarbeiten einbringen – obwohl die wenigsten jemals in dieser Schule, die in zwei Jahren fertig sein soll, unterrichten werden.

 Shanghai mag manchmal egoistisch sein, aber noch größer ist dann doch die Lust am Gestalten, am voran kommen. Viele derer, die jetzt im „After-SARS-Schub“ entsandt worden sind, haben uns gegenüber als ersten Eindruck dieses Gefühl beschrieben, hier auf einen völlig anderen Energielevel zu treffen, wie viel höher der Puls Shanghais schlägt – mit allen Vor- und Nachteilen... .

 Während Frieder (nach dem Einzug ins German Centre mit 1 ½ Stunden Arbeitsweg einfach...) ziemlich eingespannt ist, konnte Sandra zumindest die Herbstferien mal wieder für einen Blick in das China werfen, das auch in Deutschland hinter dem Glanz der kommenden Supermacht immer weiter in den Hintergrund rückt – obwohl es aktuell noch rund 90% dieses Landes repräsentiert: das einfach-ländliche China, in diesem Fall in der Provinz Guangxi, nur 300km vom berühmten Guilin entfernt. 300km im kleinen Bus über Schotterpisten und per dieselknatterndem Holzkahn einen Fluss entlang.

 Das französische Projekt „Couleurs de Chine“ (www.couleursdechine.org) unterstützt Mädchen in Minderheitendörfern (insbesondere der Miao und Dong). Sandra hat in diesem Rahmen eine Patenschaft übernommen. Couleurs de Chine gibt Paten die Möglichkeit, die unterstützte Familie zu besuchen und bei dieser Gelegenheit das Lebensumfeld kennen zu lernen. Und so sehr dieser Besuch auch wieder Grenzen solcher Hilfsprojekte aufzeigte (Fragen der Gerechtigkeit, der Eigenverantwortlichkeit und der angemessenen Anschlussförderung für die per Spenden ausgebildeten Mädchen), so tief gingen auch mal wieder die Eindrücke in diesem sehr armen und dabei weitgehend ursprünglichen Lebensumfeld. Das wird Sandra noch getrennt näher beschreiben (hier noch mal der Hinweis auf unsere Homepage www.sandraundfrieder.de). Zurück in Shanghai gab es dann wieder diese Momente der Fremdheit, des Unwirklichen – kann das alles ein Land sein? Aber das ist es und man kann weiterhin nur beten und hoffen, dass es das noch auf lange Sicht in solch geregelter und weitgehend funktionierender Form bleibt.

 

Sehr erfreulich war der Sheraton-Drachenboot-Cup in Nanjing Anfang September, bei dem Sandra paddelte und Frieder als Maskottchen mit durfte ;-). Ausgehend von 12 Euro-Zimmern eben im Nanjing Sheraton ( :-D ) hatte so Sandra erstmals die Möglichkeit, diese beeindruckende und besondere Stadt zu sehen. Dieses Mal fielen wir zudem nicht nur dadurch auf, dass wir ein bunt-gemischtes Ausländerteam waren, sondern konnten mit einem zweiten Platz unter 17 Teams endlich auch mal einen Erfolg feiern.

 Nach den Dürremonaten rund um SARS boomt in Shanghai aktuell das Community-Leben. Alles was damals abgeSARSt wurde, findet jetzt statt: Bälle, Basare, Sportturniere etc. Ein besonderer Höhepunkt in diesem Reigen war natürlich der Besuch von Johannes Rau. Leider entwickelte sich der (kostenpflichtige) „Business Lunch“ (so was hatten wir bisher auch noch nicht mitgemacht) etwas anders als erwartet:

 Die Kleiderordnung war ausdrücklich formell, und eigentlich waren von der Einladung her alle auf einen gut bis kräftig klimatisierten Hotel-Saal eingestellt. Umso größer die Überraschung, als Kammer+Konsulat das Ganze kurzer Hand zur Open-Air-Veranstaltung erklärten: Bei original ca. 40 Grad im Schatten... .

 So konnte man dann am Empfang bei einem schwarz-beanzugten Herrn mit Weste nach dem anderen bei Eröffnung dieser Neuigkeit entgeistert die Gesichtszüge entgleisen sehen – nicht wenige sahen schon kurz danach aus, als hätten sie ihr Hemd aus irgendwelchen mysteriösen Gründen klatschnass direkt aus der Wäsche übergestreift. Rau selber soll übrigens, nennen wir es „erstaunt“ gewesen sein – so wurde aus einem Business Lunch ein kurzes Happening: nach 10-minütiger Rede zog sich Rau eiligst wieder ins gekühlte Innere des Hotels zurück. Aber immerhin mal den Präsidenten gesehen... .

 Wesentlich gelungener präsentierte sich der jährliche Empfang des Konsulats zum Tag der Deutschen Einheit. Das war schlicht ein wirklich schönes Fest.

 Sonst gibt es natürlich auch immer wieder kleine Alltagskuriositäten und –neuigkeiten, wie Frieders Kämpfe mit diversen Busvarianten, um seine Fahrzeit zum Büro doch noch unter die erwähnten 1 ½ Stunden zu drücken sowie die Testung diverser einfachster Essensmöglichkeiten rund um die Tongji-Uni, inklusive Hühnerblutsuppe (nicht immer...) und Entenhälsen (..durchaus öfter), Sandras Versenkung ihres Handys in einem Fluss in Guangxi und der „Neu“kauf eines Gebrauchten in dem großen chinesischer Bazar bei uns in der Nähe, bei dem uns vor allen Dingen immer wieder auf mannigfaltige Arten und Weisen versichert und bewiesen wird, dass das gute Stück, was man uns gerade anbietet, auch wirklich echt und kein Hinterhofnachbau-Nokia ist (die endgültige Antwort auf diese Frage wird uns wohl nur Matthias irgendwann geben können...).

 Wie ihr seht, geht es uns nach wie vor gut in Shanghai. Das Leben ist, wenn auch oft anstrengend, so facetten- und erlebnisreich, dass wir bei dem Gedanken, in knapp einem Jahr zurück nach Deutschland zu gehen, mittlerweile schon einen deutlichen Abschiedsschmerz verspüren. Um so schöner natürlich, dass wir all dies hier überhaupt erleben können.

 

So grüßen wir euch wieder einmal ganz herzlich aus der Ferne

 Zaijian

 Eure

Sandra und Frieder

 P.S.: Ganz toll fand Frieder natürlich den WM-Titel unserer Fußballdamen – insbesondere da hier ausführlichst über alle Spiele berichtet wurde.

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching