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S u. F. Demmer
Unterwegs in China
Gelbe Berge

Hoch auf den Gelben Bergen...

Mystisch, märchenhaft, atemberaubend - Kein anderes Gebirge soll den noch reizen können, der Huangshan bestiegen hat, Huangshan reicht!

So steht es geschrieben in Führern und wohl schon in alten Schriften.
Als wir jedoch den Talort Tankou für unseren ersten Aufstieg verließen, hatten uns grosse Teile unseres dementsprechenden Optimismusses schon verlassen. Zwar waren die ersten Landschaftseindrücke auf der Fahrt vom Flughafen und auf ersten Spaziergängen durchaus vielversprechend gewesen, doch wurde unsere Freude durch den Dreck, den Lärm und die lieblose Hässlichkeit weiter Teile Tankous wieder merklich gedämpft. Regungslos immer aufs neue vorgetragene Wucherpreise ohne angemessene Gegenleistungen hatten ein weiteres dazu beigetragen, dass wir am Fuße der “Eastern Steps” stark befürchteten, dass auch Huangshan selber nicht halten würde, was versprochen worden war. Karte hier, Regencape da, Nippes gefällig, sicher gibt es in Asien deutlich extremere Orte, wir hatten uns aber auf Ruhe und Entspannung eingestellt und die wollten sich erst einmal überhaupt nicht einstellen.

Als wir einen Tag, eine Nacht einen Sonnenaufgang und abertausend Treppenstufen später über die “Western Steps” wieder hinunter kamen, war es dann kaum noch vorstellbar, dass wir nur einen Berg herauf und wieder herunter gelaufen waren.

Ein Traum in Stein

Huangshan, der “Gelbe Berg”, besser das “Gelbe Gebirge” (die Farbe verweist auf den “kaiserlichen Status” des Naturwunders) war nicht einfach ein Berg gewesen, ein Gebirge, “Lotus Peak” nicht einfach ein Gipfel und “The Monkey Gazing At The Sea” nicht einfach ein fantasievoll benannter Findling. Sie alle waren Teil eines Natur-Epos geworden, einer maerchenhaften Verdichtung von Formen, Farben und Eindrücken. Huangshan hatte uns ein nicht enden wollendes Spiel aus Fels, Licht und Schatten geboten, das immer neue Figuren zauberte, umrahmt und behütet von knorrigen, weit ausladenden Pinien, von denen einige wohl seit Menschengedenken an ihrem Platz stehen.

Wenn ich als Kind die Tuschezeichnungen Chinesischer Maler sah, gefielen sie mir wegen Ihrer Stimmungen und wilden Landschaften. Aber ich dachte auch: Warum malen die so übertrieben, so dramatisch die Berge, so verwegen die Bäume. Reisen bildet. Sie tun es, weil die Berge und die Bäume hier einfach wirklich genau so sind!

Ob Huangshan der Gipfel der Bergwelt ist sei dahingestellt, aber es ist ziemlich sicher der Gipfel der Inspiration. Seit 1200 Jahren ergründen Künstler die Geheimnisse dieses Massivs, noch immer sitzen Scharen von Malern entlang der steinernen Wege und werden doch ganz sicher noch lange immer neue Eindrücke auf ihre Seiden- oder Reispapierbögen bannen können.

Treppauf, treppab

Am Rande der Wege - Huangshans Wege sind der eigentliche Schlüssel zum Erlebnis. Steilheit und die dichten Wälder würden weite Teile dieser Landschaft ansonsten selbst für ambitionierte Bergsteiger völlig unzugänglich machen.

Zunächst bahnen sich meterhoch aufgeschichtet Fels”stege” ihren Weg durch unwegsame Märchenwälder, dann winden sich die Aufstiegspassagen durch kaum schulterbreite Klammen und Spalten und über Stufen die höher als breit (bzw. tief, äh...) sind, den Gipfeln entgegen, um dann von wem und wie auch immer über die gähnenden Abründe an den blanken Fels geklammert weit oben ihre letzten Kreise zu ziehen. Ein filigranes Netz nicht enden wollender Treppen, Passagen und Balkone aus Granit und neuerdings auch Beton (in den dann allerdings liebevoll und von Hand Granitplattenmuster eingemeißelt werden...).

Tausende anhand farbiger Kappen unterschiedlichen Veranstaltern zuzuordnende Chinesen ziehen tagtäglich diese Wege entlang, angeleitet von Führern mit rasselnden Mini-Megafonen, die zum Teil nicht einmal dann außer Betrieb genommen werden, wenn die Führer den Angesprochenen Aug‘ in Aug‘ gegenüber stehen - funny. 

Weithin hörbar verkünden weitere Lautsprecher allgemeine Verhaltensregeln in Chinesisch, Japanisch und Englisch, immer wieder eingeleitet von einer leider unschön übersteuerten Hymne. Nein, es herrschte auch hier oben alles andere als alpine Beschaulichkeit oder Gipfelandacht sondern ein lebhaftes Gewusel, Rufen, Keuchen, Leiden, Lächeln und wieder Rufen - auf Antwort oder Echo wartend... . Einige konnten kaum noch laufen (Muskelkater erreicht hier regelmäßig das Ausmaß einer Gehbehinderung), anderen stand das Entsetzen über die jähen Abstürze, steilen Treppen und engen Balkone ins Gesicht geschrieben. Auf allen Vieren arbeiteten sie sich voran oder herunter.

Aber sie waren da. Sie haben das Gebirge der Gebirge, ihr chinesisches Huangshan gesehen. Chinesen können sich wunderbar freuen und das taten sie dann auch immer wieder, strahlend, sanft flüsternd oder begeistert rufend: “Oh wie schön, oh wie schön!” “Hen mei-li” oder auch das eigentlich eher Menschen und menschlichen Werken vorbehaltene “Hen piao liang!”. Und so brach dann in aller Herrgottsfrühe der erste und gleichzeitig größte Jubel los, als die Sonne ihre ersten Strahlen über das Heer von Frühaufstehern sendete - jeder ostgewandte Weg, Fels oder Baum war besetzt. Wir hatten diesen Trubel speziell beim Sonneaufgang gefürchtet, doch gerade da mussten wir uns eingestehen: Das ist sie wohl wirklich, die “helle Freude”.

Nach Sonnenaufgang begann dann schon bald der Gong einer Besuchern zugänglichen meterhohen Tempelglocke den Beihai-Sattel auszufüllen, begleitet von den unermüdlich klickenden Hammerschlägen der Steinmetze bei der Pflege, Erweiterung, Neuanlage des Wegenetzes. Ein Heer von Parkarbeitern ist zudem fortlaufend damit beschäftigt, die überall zu findenden Steinmülleimer zu leeren sowie trotzdem achtlos weggeworfenen Müll aus ungesicherten Hängen heraus zu fischen. Teils neben Mülleimern stehend, haben wir Gäste nicht mehr Benötigtes zur Seite werfen sehen. Schon unser chinesischer Nachbar in Shanghai klagte über die Disziplinlosigkeit seiner Landsleute, wenn sie sich unbeobachtet, durch die Annonymität der Masse geschützt fühlen: Ich werfe das dahin, wo es mir passt. Letztlich blieben es aber Ausnahmen und die gibt es bei uns auch.

Wahrhaft kaiserlich!

Wir suchten also unter anderem Ruhe und fanden einen verlotterten Rummelplatz? Nein, dieser Ort ist so atemberaubend, so beeindruckend, dass dieser ganze Rummel letztlich verhallt, zur eher skurrilen Begleiterscheinung wird, spätestens wenn ein netter Mann in gelber Weste kommt und beginnt, den kahlen, glatten Granitgipfel des Red Cloud Peak zu fegen... .

Rund 40 Gipfeln liegen im Einzugsbereich der 5 Hauptaufstiege, 8 Gipfel sind erschlossen und die anderen kann man nur von Ferne bestaunen: bizarre Schrofenlandschaften, weich aber unnahbar steil und glatt abgeschliffene Granitwände in Grau-, Rot- und Gelbtönen.

“Lotus Peak” erhebt sich “nur” 1860 Meter - und doch standen wir vor seinen je nach Licht und Sicht warm leuchtenden oder düster in den Dunst aufragenden Wänden nicht weniger gebannt, als vor denen irgendwelcher Bergriesen. Zwei Treppen umwinden diesen spektakulären Granitkegel und stellen diejenigen, die vom Tal kommen und sonst selten in die Höhe gehen auf eine letzte und endgültige Probe - das pure Glück dann oben zu sein, selbst für uns, die wir am zweiten Tag mit der Bergbahn geschummelt hatten. Vielleicht kein klassisch erstiegener Gipfel, aber ein Erlebnis das man mit grob überschlagene 10.000 Treppenstufen aus dem Tal und wohl rund 1500 von der Bahn auch keinesfalls geschenkt kriegt.

Alles das zusammen macht aus Huangshan eine wunderbar intensive Märchenwelt. Wände und Felsnadeln, die im Licht der Sonne zu Leben erwachen, Pinien, die an kleinste Absätze gekrallt ihre satt grünen Schirme über die Abgründe spannen, als wollten sie verhindern, dass der Regen den Fels vollends wegspült, Schluchten, in denen jede Sage wahr zu werden scheint, Wege, die einen wie von Zwergen gebaut an unerreichbar scheinende Punkte führen.

Und wenn dann noch das “nördliche Meer der Wolken” über die Dämme der ersten Hügel flutet und sich das mächtige Massiv in ein wahrhaft unwirklich bizarr schwebendes, von geisterhaften Nebeln durchzogenes Inselreich verwandelt, wird man hier endgültig Zeuge eines nur noch mythisch zu nennenden Schauspiels. Dann glaubt man alles, außer, dass es nur Treppenstufen sind, die einen vom Alltag Tankous trennen - aber es ist so.

Um auf den Eingangsspruch zurück zu kommen - wir möchten unsere bisherigen Bergerlebnisse tatsächlich auch nach Huangshan nicht missen, Huangshan hat sich aber in die Landschaften eingereiht, die man eher als dastehende Wahrheit, denn als flüchtiges Erlebnis vor Augen behält. Wie wir jetzt wissen, Fotos können das kaum einfangen, am ehesten wohl tatsächlich die Bilder der Tuschekünstler - Märchen kann man wohl nicht fotografieren...

Rund um die Gelben Berge...

Neben den Gipfeln der Gelben Berge haben wir noch ein paar Talziele besucht. So zwei Tobelwege, wobei der zweite verspielte Wasserführungen und traumhafte Gumpen mit wechselnden Farbspielen bot. Der erste aber wird uns, neben einer 80 Meter langen Wasserrutsche (Schwaben-Alpini wo seid Ihr?) mit darüber liegendem, ebenso hohem Wasserfall sowie im Sonnenlicht wirklich meeresgleich wogenden und silbergrün glitzernden Bambuswäldern, vor allem durch unterschiedliche Schlangen-Begegnungen in Erinnerung bleiben.

Die Eindruckvollste betraf ein gut meterlanges Tier mit dunklem Körper, braun, gelbem Zackenmuster und gelb-roten Kopfzeichnungen, das die Böschung des gut zwei Meter breiten Weges ungefähr auf Hüfthöhe heraufkroch, als wir es mit ausreichend Abstand bemerkten, um uns zwecks Foto dann langsam zu nähern. Drei chinesische Paare, die uns entgegen kamen, verstanden leider weder meine Laute noch meine Zeichen - oder ignorierten einfach das Getue des Westlers - und bemerkten “Shé” so erst, als die ersten zwei, ein paar Meter voraus gehenden , direkt neben ihr zum Stehen kamen. Die Erkenntnis, direkt neben einer lebenden Schlange zu stehen, sorgte zunächst nur für kurze Aufschreie und eiliges an den Wegesrand Zurückweichen, dann aber vor allem für eine dramatische Harakiristurzwendung des offensichtlich nachhaltig erschreckten Tieres von der Böschung hinab auf den Weg in die zum letzten Paar verbliebene Lücke hinein - was die Aufschreie natürlich forcierte und mächtig Bewegung in alle drei (vier - so ganz ruhig waren wir da auch nicht mehr) Paare brachte - bis sich das Tier ins abschüssige Unterholz gerettet hatte. Danach liefen wir sehr viel aufmerksamer, was uns eine eine zweite sehr schöne Beobachtung einer ähnlichen, aber kleineren Schlange per Fernglas am anderen Ufer einbrachte. Eine dritte Vertreterin lag tot auf einem Stein im Flussbett. Danach wunderte uns auch nicht mehr dass es hier Schlangen in allen Verarbeitungsformen zu kaufen gibt.

Kultureller Höhepunkt unseres Urlaubs war der Besuch zweier historischer Dörfer, Xidi und Hongchun mit fast vollständig erhaltenen Kernen aus dem 15.-17-Jahrhundert, wie das Gebirge selber und das ja schon von Shanghai aus besuchte Zouzhuang auch Weltkulturerbe.

Xidi war freundlicher, aber Hongchun mit seinem Zugang über einen Steg und eine kleine Bogenbrücke durch einen mit Lotusblättern bewachsenen See sowie mit einem weiteren Teich im Dorfzentrum, in wunderschöner Umgebung mit steilen Hügeln, kleinen Gemüse und Reistereassenfeldern gelegen, hatte für uns mehr Flair. Dazu kam die starke Erinnerung an Nepal: Wasserbüffel, die kleinen, mit Sichel und Hacke von Hand bestellten Felder, Ponykarren, hölzerne Dreschmühlen, die zum Trocknen ausgebreite Ernte aus Mais, Bohnen, Reis und (die waren neu für uns) leuchtend roten Pepperoni. Keine Inszenierung! Idylle, aber auch - Shanghai im Hinterkopf - endgültiger Spiegel der unglaublichen Spanne an Lebensformen im China von Heute.

Dazu fehlt noch eine Geschichte, mit der wir auch wieder an den “Gelben Berg” als solchen zurück kehren, die der Träger. Drei  Seilbahnen fahren auf den Huangshan, darunter die längste Asiens und die transportstärkste Chinas. Aber große Teile wenn nicht alle Vorräte, Nahrungsmittel, Brennstoffe, Getränke und sogar Gepäck werden von Trägern zentnerweise an Bambusstangen gebunden auf den Schultern, Schritt für Schritt, schwitzend, genau jene Tausenden von Stufen hinaufgetragen, die uns mit Tagesrucksäcken schon an unsere Grenzen führten. Oben angelangt gibt es eine kurze Pause, dann wird wieder ins Tal gesprungen, zu neuer Last. Unglaubliche Leistungen, vereinzelt auch von Frauen. Auch eine Lebensform in China und eine weitere Erinnerung an Nepal.

Den Abschluss der Reise bildete der Flughafenort Tunxi (1.600.000 Einwohner!!!, hier so eine Art Mittelstadt), den Sandra jedoch allein erkunden musste, da mich “was-auch-immer” komplett niederstreckte. Für Sandra gab es hier noch die ebenfalls historische und wirklich lohnende Einkaufsmeile Tunxis inklusive dreier Schlangentinktur-Geschäfte und einen stimmungsvollen abendlichen Markt mit Zeltständen entlang der Uferpromenade zu bestaunen. Von unserer Nachbarin habe ich erfahren, dass diese Nachtmärkte auf eine Regelung zurück gehen, nach der Arbeitslose (gibt es offiziell 2,5%) oder auch Wanderarbeiter abends und nachts steuerfrei Kleingeschäfte betreiben können.

Zusammengefasst können wir nur sagen, dass Huangshan eine Reise auf jeden Fall, für uns aller Voraussicht nach noch mindestens eine weitere wert ist, wir aber doch noch in der Annäherung an China sind, manches noch lernen müssen - aber da haben wir ja auch noch ein wenig Zeit.

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching