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S u. F. Demmer
Unterwegs in China
Yangtze

Die drei Schluchten des Yangtze – ein neues Atlantis?

 

In den Angeboten für Reisen zum Yangtze setzen Deutschlands Reiseanbieter ganz eindeutig auf eine Karte: Da liest man von der “gelenkten Sintflut”, die da kommt, und: “Besuchen Sie die Yangtze-Schluchten, so lange es sie noch gibt!”. Letzteres fasst das allgemeine Empfinden (auch hier in China) wohl am besten zusammen.

Außer Frage steht, dass der Bau des Drei-Schluchten-(chin.: Sanxia-) Staudammes Veränderungen mit sich bringen wird, die mit üblichen Maßstäben (siehe Karte) kaum mehr angemessen zu erfassen sind: Sozial, technisch, ökonomisch, wie ökologisch überschreitet er die vorstellbaren Grenzen. So richtig weiß daher niemand, was wirklich alles passieren wird, wenn der über 2km breite und 184m hohe (davon 130m über der aktuellen Wasserlinie) Betonriegel 2003 erstmalig geschlossen und das Reservoir in der ersten Ausbaustufe auf 134m angestaut wird. So richtig weiß auch niemand, was es für Folgen haben wird, 1,3 (offizielle Angaben) – 2 (amerikanische Schätzungen) Millionen Menschen zwangsumzusiedeln, um Platz für einen über 500 km langen (!!!) und über 200m tiefen See zu schaffen.

 (Wer sich hier eingehender informieren will findet  eine breit gefächerte Linksammlung unter:  http://www.smipp.com/damname.htm ).

Was aber die Reiseanzeigen betrifft: Eines weiß man in Wirklichkeit ganz genau, und zwar dass speziell die Schluchten als solche keineswegs verschwinden werden. Deren Wände ragen nämlich so hoch auf und dass letztlich nur maximal 1/5 verloren gehen wird. Natürlich werden die Schluchten dadurch etwas breiter sein als jetzt. Da der restliche Fluß aber teilweise über 100 Mal (!!) so breit sein wird wie früher, werden die Schluchten mehr denn je spektakuläre Engstellen markieren. Der Form halber sein noch angefügt, dass der zweite Abschnitt der letzten und größten Schlucht sowieso komplett unterhalb des Dammes liegt und damit unverändert bleibt.

All dieses im Blick könnte es sogar sein, dass die rein touristische Attraktivität der ganzen Region durch die wesentlich unkompliziertere Schiffbarkeit des Yangtze (bei Niedrigwasser geht es da jetzt schon bei nur einem entgegenkommendem Schiff teilweise außerordentlich eng zu) und die parallel laufende infrastrukturelle Erschließung in der Region gar nicht sinkt sondern erheblich steigt – allerdings bleibt abzuwarten, was tatsächlich daraus gemacht wird.
In jedem Fall wird es noch auf lange Sicht landschaftliche Höhepunkte im Yangtze-Tal geben, da zwar Gebiete verloren gehen, im Gegenzug allerdings auch Täler schiffbar werden, die jetzt noch jenseits jeder Erschließung liegen.

Das soll aber niemanden abhalten jetzt noch an den Yangtze zu kommen. Folgende Gründe sprechen wirklich dafür, den Yangtze jetzt (d.h. bis Sommer 2003) noch zu bereisen:

  • Ein gewisses Maß an Unberührtheit und Ursprünglichkeit wird der “neue Yangtze” natürlich verlieren, insbesondere durch die Umsiedlungen: architektonisch sind da entlang der Ufer zum Teil leider alles andere als Offenbarungen entstanden. Diese ersetzen optisch in keiner Weise die ursprünglich idyllisch am Ufer gelegenen alten Höfe und Dörfer.
  • So sehr man später allein in den entstandenen Wasserflächen die Dimensionen dieses Projektes erkennen wird, so außergewöhnlich ist das jetzige Erlebnis, von unten zu den weit über einem in den Hängen angebrachten Pegelmarken hinauf zu schauen und die Siedlungen und Landschaften zu sehen, die darunter liegen. Dabei blickt man aktuell auch auf Szenerien, die man sonst nur aus dem Fernsehen von großen Erdbeben kennt: weite Trümmerfelder, da die Städte nicht versinken, sondern eingeebnet werden, um keine gefährlichen Schiffahrtshindernisse dar zu stellen. Dieser Anblick vergegenwärtigt drastisch, dass es wirklich (auch wenn dann Neues entsteht) um Zerstörung geht. So ein langsames “Versinken” hätte dagegen ja fast eher was mystisch-romantisches.
  • Der Vorher-Nachher-Effekt wird wahrscheinlich wirklich unglaublich sein – wir werden nach 2003 – und vielleicht dann auch nochmal nach 2009 (endgültige Aufstauhöhe) an den Yangtze zurück kehren um zu sehen, was tatsächlich geschehen ist.

Wer allerdings nur einmal her will, der sollte sehr gut überlegen, ob er seine Tour auf dem “alten” oder “neuen” Yangtze machen will, es gibt Gründe für beides. Und die Schluchten wird man wie gesagt in beiden Fällen sehen... .

Fünf Sterne-Dampfer und Treidel-Kähne

Weil es so perfekt passte, über den 1. Mai auf eine Schiff zu gehen (das hat 160 Plätze und dann gehen einfach nicht mehr drauf – also vermeidet man das in China in aller Regel exorbitante Feiertagsgeschiebe) und weil wir fälschlicher Weise annahmen, der Flug sei inclusive, haben wir unsere Kreuzfahrt “Last-Minute” auf dem Fünf-Sterne-Liner “East-King” gebucht, einer von zweien dieser Kategorie auf dem Yangtze. Das bedeutete zunächst, dass wir weit mehr Geld ausgegeben haben, als jemals zuvor für einen vergleichbaren Kurzurlaub – aber man gönnt sich ja sonst nichts. Fünf Sterne auf dem Yangtze bedeuten weiterhin: Nette, saubere und klimatisierte Kabinen mit Panoramafenster, inklusive Fernseher, Minibar und eigener Dusche/WC. Das Schiff bot darüber hinaus ein sehr großes Sonnendeck mit Bar und (außer Betrieb befindlichem) Pool, dreimal am Tag west/östliches Buffet, Sauna, Fitnessecke und Massage, Shops, Tanzbar, durchgängig englischsprachiges Personal sowie kompetente Führungen. Alles in Allem etwas weniger glanzvoll als in einem Fünf-Sterne-Haus an Land aber doch sehr erholsam, gerade wenn es draußen stürmt und regnet (was es am Yangtze wohl gerne tut).

Wer die ganz andere Art von Erlebnis sucht, der kann sich auch unklassifizierten Booten zuwenden. Das heißt dann: Keine Englischkenntnisse, sanitäre Anlagen, deren Zustand grenzwertig sein kann sowie unterschiedlichste andere Alltagshürden im Umgang mit den an Bord oder auch im gleichen Zimmer befindlichen Chinesen. Eine solche Tour kostet 1/10 der unsrigen und ist die Abenteuer-Variante, weniger Erholung als ein sehr intensiver Chinaeinblick.

Eine gesunde Mittelklasse fehlt (wie so häufig in China). Ab drei Sternen gibt es passende Standards, zu aber auch schon nicht mehr wirklich günstigen Preisen.

Wir waren wie gesagt “Top-of-the-Pops” unterwegs, erlebten dabei aber eine Konfrontation mit “der anderen Welt”, wie sie drastischer kaum hätte sein können:

Eine Exkursion ging in ein Seitental zu den “Drei kleinen Schluchten”. Dorthin wurden wir tatsächlich in 15-Personen Holztreidelkähnen von vier Männern am Ufer an Bambusseilen gegen die Strömung gezogen. Die Männer am Ufer waren bis auf ein Regencape fast nackt, und zitterten sich keuchend in Bastsandalen durch den vom Regen glatten und aufgeweichten Lehmboden. Hing ein Boot, mussten ein oder zwei Crewmitglieder ins Wasser. Direkt neben uns am Ufer liefen immer die “Zieher” des nächsten Bootes - man fühlte sich unwillkürlich an Bilder vom Pyramidenbau erinnert, sehr eigentümlich. Letztlich war es uns persönlich dann gar nicht so unrecht, dass diese Tour wegen drohender Regenfluten abgebrochen werden musste. ABER, bevor man jetzt zu schnell in die Unmenschlichkeitsschiene einhakt: Diese Transportmethode hat am Jangtze Jahrhunderte Tradition und wurde nicht für die Touristen erfunden. Einige dieser Männer üben ihren Beruf seit Jahrzehnten, von Kindesbeinen an aus. Ein gutes Beispiel zur Sensibilisierung, in der Drei-Schluchten-Diskussion von westlicher Seite darauf zu achten, dass “Ursprünglichkeit” und “Tradition” nicht immer zwingend bewahrenswert sind.

Lohnt der Yangtze?

Unsere Antwort: Wenn man die Zeit (und im Zweifelsfall das Geld) hat in jedem Fall ja. Landschaft und die ganzen Umstände des Projektes sind wirklich, wirklich außergewöhnlich. Für den wasserbautechnisch Interessierten führt am Damm sowieso kein Weg vorbei. Die Dimensionen sind auf Fotos kaum zu fassen, das muss man gesehen haben, wenn man es verstehen will.
Für uns gibt es aber in China einige Ziele mit höherer Priorität, als da wären Peking, Huangshan, Guilin/Yangshuo sowie die Regionen Yunnan/Tibet/Lhasa, Ulan Bator/Mongolei.

Kurz: Der Yangtze samt Damm und seinen angeblich versinkenden Schluchten ist ein im Westen sehr erfolgreich gehypter und dadurch teurer Mythos -  aber zumindest ein Mythos der auch in der Realität noch wirklich beeindrucken kann.

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching